Auszug aus: Strassen im Eis

 Chronik des Eisbrechers „Stephan Jantzen“ 1968 – 1988

 Herausgeber: Besatzung des DES „Stephan Jantzen“ (Januar 1988)

 Autor: Richard Kanwischer

  Kapitel 4: Ein Schiff erhält seinen Namen

 Als der Bau des Eisbrechers für unsere Republik auf der Admiralitätswerft in Leningrad Formen annahm, stellte sich die Frage der Namensgebung. Wie sollte das Schiff heißen?

 Die sowjetischen Freunde wünschten rechtzeitig Angaben über den Namen – die Taufe musste vorbereitet werden, die Schiffsdokumente mussten erstellt, Schilder gedruckt, Registereintragungen vorgenommen werden. Und nicht zuletzt mussten die großen Buchstaben für den Namen an Bug und Heck angefertigt werden.

 In aller Eile bemühte sich die Betriebsleitung des damaligen VEB LBB, dem der Eisbrecher zugeordnet werden sollte, der Forderung nachzukommen. Für Betriebsdirektor Gen. Kessler und seine Mitarbeiter stand der Name fest: Stephan Jantzen! Es gab keine bessere Wahl für das Schiff, das seinen Heimathafen an der Warnowmündung – der Wirkungsstätte des großen Lotsenkommandeurs – erhalten sollte und das in seiner Aufgabenstellung mit der starken Kraft seiner Technik und dem Mut der Seeleute der Sicherheit und Hilfeleistung auf See dienen sollte. Ohne Zweifel ein würdiger Name für das Schiff und eine Anerkennung für die Leistungen dieses Mannes.

 So wurde der Name, ein Bild und die Biographie aus der Heimatgeschichte umgehend nach Leningrad übermittelt. Dort lasen die sowjetischen Genossen den unbekannten Namen, betrachteten mißmutig das Bild, auf dem sie mit Unbehagen den hohen kaiserlichen Kronenorden wahrnahmen. Was hatten sich die deutschen Freunde dabei gedacht? Die Vertreter des DDR-Außenhandelsministeriums, mittlerweile in Kenntnis gelangt über die Auswahl des Namens, schalteten sich in die Angelegenheit ein. Wäre es nicht besser angebracht, den Namen eines verdienstvollen Freiheitskämpfers zu verwenden? Man äußerte den Unwillen über die selbständige Handlungsweise des Betriebes. Diese war aber nicht in eigenmächtiger Absicht, sondern in Anbetracht der Kürze der Zeit als Vorschlag direkt an die Werft erfolgt.

 Die Genossen wurden bei Vertretern der Admiralitätswerft wegen einer eventuellen Änderung des Namensvorschlages vorstellig. Aber bevor sie mit Erklärungen beginnen konnten, wurden sie von den sowjetischen Freunden herzlich begrüßt und zur Wahl des Namens beglückwünscht.

 Sie schauten auf die Dokumente, dort stand, Eisbrecher „Stephan Jantzen“.

 Große Verwunderung – was war geschehen?

 Die traditionsbewußten sowjetischen Freunde hatten inzwischen auf dem Bildnis auf der Brust des Lotsenkommandeurs den hohen russischen Orden zur Rettung von Menschenleben entdeckt und in der Geschichte nachgeforscht. Stephan Jantzen hatte eine gute Beziehung zur russischen Handelsmacht. Schon seine erste Reise als Schiffsjunge hatte in 1842 nach Petersburg geführt. Auch während seiner späteren Seereisen weilte er mehrmals in russischen Häfen und achtete den kühnen Geist und Mut der russischen Seefahrer.

 1868 rettete er 9 Menschen des Schoners „Maria“ und 1899  8 Seeleute der „Toiro“. Beides waren russische Schiffe, die östlich von Warnemünde im Sturm auf Grund gerieten.

 Angesichts dieser Verdienste stand es für die Genossen in Leningrad fest: das war eine gute Wahl! Die Vorbereitungen zur Festschreibung des Namens konnten beginnen, und auch die Vertreter des DDR-Ministeriums akzeptierten schließlich die Wahl des Namens als eine gute Entscheidung.

 Somit erfuhr ein mutiger Seemann, der nicht an den Kaiser, nicht an Teufel und Tot dachte, wenn es galt, Menschenleben zu retten, durch die Benennung des größten Eisbrechers der DDR auf seinen Namen, eine ihm gebührende hohe Ehrung.